info=Wie weit sind wir eigentlich schon verwildert? Kaum werden die ersten Wölfe gesichtet – schon folgt ein verblüffender Vorschlag aus der Politik: Man solle Teile Ostdeutschlands „kontrolliert verwildern“ lassen! Warum auch nicht? Es gibt schließlich nur ein Land, in dem weniger Kinder geboren werden. Das ist der Vatikan.

Die naturfrohe Vision greift FRANK LÜDECKE interessiert auf (seit 2004 in jedem zweiten Scheibenwischer“, Träger diverser Kleinkunstpreise, viele Jahre Hauptautor von Dieter Hallervorden. Wo landen wir, wenn man die Wirtschaftslogik nur konsequent genug anwendet? Und wie steht es mit den drei Königswegen des Reichtums: Arbeit, Erbschaft, Steuerhinterziehung? Hier lauern nicht nur wilde Tiere, sondern jede Menge paradoxes Unterhaltungspotential. Lüdecke zieht dabei auch die Philosophen zu Rate, von Aristoteles bis Eva Herman. Und er klärt die soziale Frage an Hand eines früheren Generalsekretärs der FDP: Charles Darwin…

VERWILDERUNG ist eine satirischen Gesellschaftsbeschreibung und das aktuelle (fünfte) Soloprogramm des Berliners, der bekannt ist, für seine „aberwitzigen Analysen weltpolitischen und soziokulturellen Irrsinns mit wunderbar abstrusen Assoziationen“. Berliner Morgenpost .

SEX ZIEHT IMMER

Gibt es noch etwas zu lachen, wenn alle Witze machen?
Kabarettist Frank Lüdecke über die Spaßkultur

Ungekürzte Version des Berliner "TAGESSPIEGEL"-Interviews vom 7.6.2002


DER TAGESPIEGEL:
Herr Lüdecke, Comedy lebt, Kabarett ist tot. Ist doch so, oder?

Frank Lüdecke:
Wer sagt das, wo stand das?

Das merkt man doch. Comedy ist überall. Kabarett fast nirgends.

Ich habe mir sagen lassen, dass Kabarett gerade wieder stark im Kommen ist.

Das sagt ihr Kabarettisten aber schon seit Jahrzehnten.

Das Schöne ist doch, dass das Kabarett immer tot war und gleichzeitig immer im Kommen. Kabarett hat sehr starke regionale Verwurzelungen. In der Region ist das Kabarett so stark wie eh und je. Comedy dagegen lässt sich eben einfach besser fürs Fernsehen verwerten.

Wie steht es denn um das Kabarett in Berlin?

Kabarett in Berlin ist eine irreale Zone. Berlin lebt von seinem Ruf - aber
Kabarettisten aus Berlin gibt es kaum noch. Ich schreibe auf meine Plakate
immer "Kabarett aus Berlin". Dann denken die in Bad Salzdetfurth: Hey!, aus Berlin?, das muss gut sein. Dabei - in Berlin wird Kabarett kein bisschen gefördert. Ich kenne Städte, in denen gibt es Sender, die jeden Tag irgendwas Satirisches bringen. In Berlin muss man sich durch die Theater nach oben durchspielen. Das schaffen ein paar. Und der Rest bleibt hängen.

Sie sind eine Woche lang in Kopenhagen aufgetreten. Wie ist es denn so, wenn
man gar nicht verstanden wird?

Keine Veranstaltung läuft so gut wie eine deutschsprachige Veranstaltung in
Kopenhagen. Die Leute können über die Deutschen lachen und sich darüber
freuen, dass sie nicht gemeint sind. Die Überraschung ist immer groß, dass
Deutsche subtil sein können, Ironie haben und über sich lachen können.

Lacht der Däne anders?

Der Däne ist unvoreingenommener und lässt sich nicht so leicht abschrecken.
Außerdem kennt der Däne kein politisches Kabarett, so wie wir es haben.

Schon sehr freundlich, der Däne?

Als ich nach Kopenhagen fuhr, hatte ich mich verfahren. Ich hielt an, und
fragte einen Mann nach dem Weg. Der sagte mir auf Englisch, er kenne zwar
nicht die Straße, aber er kenne mein Gesicht. Aus dem deutschen Fernsehen. Wo
ich immer mit "this other guy" zusammen spielen würde.

Der andere Mann in Ihrem Leben: Dieter Hallervorden. Läuft die Zusammen-arbeit noch?

Ich habe in der letzten Zeit etwas weniger für Hallervorden gearbeitet, also
Texte geschrieben.

Konzentration auf das Wesentliche?

Man hat mir oft gesagt, ich müsse wohl ein bisschen schizophren sein, dass
ich beides machen könne. Also Hallervorden und meine eigenen Bühnenpro-gramme. Ich kann nur sagen, ich habe von Hallervorden sehr viel gelernt. Der Mann ist ein absoluter Profi. Und man lernt bei ihm unendlich viel für die praktische Bühnenarbeit. Die Dinge, die ich da mache, müssen kompatibler sein für größere Zuschauerbereiche.

Früher war alles besser, finden Sie doch auch oder?

Nicht besser, anders. Und witziger. Witziger als heute, wo alles witzig sein
will, aber nur verkrampft wirkt. Mein aktuelles Programm "Bilanz" ist ja auch
kein Krisenrückblick mit verklärender Melancholie. Ich bin 40 geworden, das
ist alles. Also warum nicht mal zurückblicken, was so war. Die Idee kam mir, als ich in einem Supermarkt Musik hörte, die mir gefiel. Da ist mir aufgegangen,
dass ich offenbar in der Zielgruppe angekommen bin. Mit der Musik von Gestern.

Sie sind ein glücklicher Mensch. Zufrieden mit dem Gestern im Heute.

Nicht ganz. Was mich ziemlich gestört hat, war zum Beispiel die
Kabarettisierung der Werbung, des Fernsehens. Immer und überall eine Pointe, ein Wortspiel – schauderhaft. Ich sehe mir manchmal Sendungen auf "arte" an, nur in der Hoffnung, mal ohne Witze durchzukommen.

Aber wir wollen doch alle witzig sein.

Ich glaube, wir haben uns merkwürdigerweise selbst als zu verkrampft
angesehen. Der Deutsche ist verkrampft, er sieht alles immer so ernst. Für
mich ist das auch eine Qualität. Aber alles witzig? Ohne Haltung geht es doch
nicht.

Sind Sie der einzige deutsche Kabarettist, der keinen Wert auf Witzigkeit legt?

Natürlich nicht. Ein Unterhalter, der nicht unterhält – das funktioniert nicht. Aber es gibt ja Gott sei Dank viele Spielarten des Witzes.

Und welche Gattung bevorzugen Sie?

Die nahe liegendste Lösung zur Pointe ist in der Regel auch die langweiligste. Ich bevorzuge den Umweg. In Kritiken steht dann etwas von "subtilem, intelligentem, Humor". So etwas lesen wir Kabarettisten natürlich gar nicht gerne.

Wieso eigentlich nicht?

Dann bleiben die Zuschauer weg.

Warum stehen Sie eigentlich auf der Bühne?

Weil ich etwas Bestimmtes erzählen möchte. Und weil ich ein moralischer
Mensch bin. Darf man das sagen?

Sie dürfen hier fast alles sagen.

Prima. Hat nicht Kunst etwas mit Moral zu tun? Das hab´ ich doch auch mal irgendwo gelesen.

Bestimmt. Das steht irgendwo.

Es ist immer einfacher, keine Moral zu haben, als mit einem moralischen Thema auf die Bühne zu gehen. Es ist einfacher, keine Haltung irgendetwas gegenüber einzunehmen.

Die Folgen der Spaßgesellschaft?

Ganz sicher. Für mein Empfinden beschäftigt sich das Kabarett heute viel zu sehr mit den Randerscheinungen. Also Viagra, RTL II und Jenny Elvers. Das ist ein Ergebnis der kultivierten Trivialisierung der letzten Jahre. Dabei sind die Fragen der Moral viel zu spannend, um sie Ulrich Wickert zu überlassen.

Sie beschäftigen sich also noch mit Inhalten.

Was ich für mich in Anspruch nehme: Es gibt etwas zu entdecken in dem, was ich mache.

Der Kabarettist als Entdeckungsreisender.

In meinem aktuellen Programm bin ich das auf jeden Fall. Da reise ich sozusagen durch die letzten vier Jahrzehnte. Ich beginne mit den Sechzigern und frage mich, ob die Tiefkühltruhe eine Erfindung des kalten Krieges war und ende im Heute, wo der Hausmeister zum Facility Manager mutiert. Es ist eine sehr persönliche Tour de force durch die deutsche Geschichte. Im Zeitraffer, versteht sich.

Was machen Sie eigentlich, wenn Ihnen das Publikum trotz aller Abenteuer zu
entgleiten droht?

Ich habe gehört, man setzt auf die Verklemmtheit des Publikums. Sex zieht immer. Oder name-dropping. Die Leute glauben, wenn ein bekannter Name im Kabarett fällt, dann wird das schon lustig sein. Mein Publikum entgleitet mir ständig.

Sind Sie ein erfolgreicher Kabarettist?

Wann ist man ein erfolgreicher Kabarettist?

Wenn man viel Geld verdient.

Aha. Erfolg ist, wenn man viel Geld verdient.

So ist es.

Ich hab´ viele Preise gewonnen.

Wir fragten nach Geld.

Richtig. Das war ja die Frage. Tja... ich verdiene schon viel Geld. Glaub´ ich. Aber was ist viel Geld?

Also gut. Hat Sie schon mal etwas von der Bühne getrieben?

Bisher noch nicht. Aber ich bin manchmal wirklich überrascht, welchen Mut
manche Menschen im Publikum haben, einen Mut, den ich nie hätte. Als ich
einmal im Düsseldorfer Kommödchen spielte, ist mitten im Programm ein
Mann aufgestanden und hat gerufen: " Kai und Lore Lorentz würden sich im Grabe umdrehen"! So was würde ich mich nie trauen. Gefällt mir aber.

Das Fernsehen ist zum großen Brötchengeber für viele geworden, die halbwegs
schreiben können. Gilt das auch für die Kabarettisten?

Wer zwei vollständige Sätze zusammen bringt, der sollte unbedingt zum
Fernsehen. Sie glauben gar nicht, wie viele Autoren gesucht werden. Es gibt
gar nicht so viele Schreiber, wie das Fernsehen gebrauchen kann. Das ist ein
ganz sicheres, weil riesiges Feld. Ich kann gar nicht so viel schreiben wie
ich ablehnen muss.

Muss da nicht der moralische Kabarettist wieder zum Eremiten werden?

Wer Einsamkeit sucht, der wird sie auch finden.

 

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